Unternehmen sollen zukünftig unmittelbar selbst strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können

Nach dem Willen eines großen Teils der Justizminister der Bundesländer soll ein „Verbandsstrafgesetzbuch“ (VerbStrG), d. h. ein Gesetz zur Einführung einer eigenständigen strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden geschaffen werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde von dem nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty vorgelegt. Dieser Gesetzesentwurf soll durch den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.

Problemsicht der Justizminister

Die bestehende Problemlage wird von großen Teilen der Justizminister der Bundesländer wie folgt eingeschätzt:  Bei der modernen Industrie- und Wissensgesellschaft handelt es sich um eine sogenannte Organisationsgesellschaft. Organisationen geben in fast allen gesellschaftlichen Teilbereichen „den Ton an“. Seit Jahren steigt die Zahl der juristischen Personen oder Personengesellschaften, die am Markt tätig sind.

Der einzelne Unternehmer tritt mehr und mehr in den Hintergrund des Geschehens. Wirtschafts-, Umwelt- und Korruptionsdelikte, die aus Unternehmen heraus begangen werden, haben einen erheblichen Umfang angenommen. Über die Hälfte des in der polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Gesamtschadens entfällt jährlich auf Wirtschaftsstraftaten. Hierauf soll mit schärferen Mitteln des Strafrechts reagiert werden.

Die Schuld hängt an der Person

Die individuelle Schuld von Einzelpersonen, die im Interesse des Unternehmens bei der Verwirklichung eines Straftatbestandes handeln, ist häufig gering. Die Einzelperson kann zwar für ihr persönliches Fehlverhalten strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, eine Verantwortlichkeit der Organisation bleibt aber meist aus. Das Unternehmen wird nicht „bestraft“.

Bei der Bestrafung der handelnden Einzelperson müssen dann aber die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Einzelperson zur Bestimmung der Höhe einer Kriminalstrafe berücksichtigt werden. Diese steht aber meist nicht in Relation zum Vermögen des begünstigten Unternehmens und zu den wirtschaftlichen Vorteilen, die die Tat für das Unternehmen mit sich gebracht hat. Aus diesen Gründen sollen Unternehmen nun selbst in den Fokus der Strafverfolgung rücken und „Angeklagte“ werden können. Denn bislang ist dies nach deutschem Recht nicht möglich. „Schuld“ im Sinne des Gesetzes haben nach deutschem Recht nur Einzelpersonen. Sie bestraft das Strafrecht. Ein Unternehmen kann bisher  nach deutschem Recht im Sinne des Strafrechtes nicht „schuldig“ werden

Es wird von Teilen der Justizminister der Bundesländer vorgebracht, es sei äußerst unbefriedigend, wenn es aufgrund komplexer organisatorischer Unternehmensstrukturen (Arbeitsteilung, Outsourcing etc.) weder möglich ist, die Tat einem Individualtäter zuzuordnen, noch das schuldhafte Versagen entsprechender Aufsichtsstrukturen zu belegen. In diesen Fällen der „organisierten Unverantwortlichkeit“ liefe nach derzeit bestehendem Recht eine Bestrafungsmöglichkeit vollkommen ins Leere, und es könne dann in diesem Fall im Ergebnis überhaupt nichts sanktioniert werden.

Aus diesem Grunde wurde der Gesetzentwurf für ein eigenständiges Verbandsstrafgesetzbuch vorgelegt. Dieser soll eine strafrechtliche Haftung von Unternehmen (Verbänden) für Zuwiderhandlungen ihrer Mitarbeiter oder Mitglieder gegen Strafgesetze begründen, wenn durch diese Zuwiderhandlungen Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen, oder wenn durch sie der Verband bereichert worden ist oder bereichert werden sollte. Dieses Verbandsstrafgesetzbuch soll in materiell-rechtlicher wie auch in prozessualer Hinsicht die Haftung von Verbänden auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen.

Die genannten Punkte zeigen, dass die bisherige Regelung von Wirtschaftsdelikten auf Unternehmensebene in Deutschland überarbeitungsbedürftig ist. Auch die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat dies gesehen und im Koalitionsvertrag vereinbart, die bestehende Rechtslage zu überprüfen.

Entwurf schießt über das Ziel hinaus

Das vorgeschlagene Verbandsstrafgesetzbuch schießt aber mit seinen drastischen Sanktionsmöglichkeiten bis hin zur Auflösung eines „kriminellen“ Unternehmens weit über das Ziel hinaus.

Innovativ ist das auf der Rechtsfolgenseite angesiedelte abgestufte Reaktions- und Sanktionsinstrumentarium, welches präventiv ausgerichtet ist und dem Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, fehlerhafte Strukturen im Rahmen eines rechtsstaatlich ausgestalteten Verfahrens selbst zu korrigieren. Allerdings ist alleiniger Schauplatz dieser Regelung die Rechtsfolge, d. h. die Ahndung eines Verstoßes.

Rechtsdogmatisch bestehen aber gegen das Verbandsstrafgesetzbuch große Bedenken im Hinblick auf den Schuldgrundsatz. Auch stellt sich die Frage, warum nicht bestehende Sanktionsmöglichkeiten verbessert oder strikter angewandt werden sollten, bevor ein weiteres reglementierendes Gesetz in Form eines Verbandsstrafgesetzbuchs erlassen wird. So könnten die §§ 30 und 130 OWiG, welche entsprechende Regelungen bereits vorsehen, geändert bzw. ergänzt werden. Auch Compliance-Vorkehrungen der Unternehmen bei Verstößen könnten künftig bußgeldmindernd berücksichtigt werden. Im Falle einer vollständigen Wiedergutmachung gegenüber den Geschädigten oder einer umfassenden Selbstanzeige könnten die Bußgelder dann entfallen. Ein positives Anreizsystem würde damit geschaffen, durch das es erst gar nicht zu Gesetzesverstößen kommt. Unternehmen, die im Rahmen vorbildlicher Compliance Gesetzesverstöße selbst aufklären und selbst anzeigen, benötigen Rechtssicherheit, dass sie für ihr redliches Verhalten am Ende nicht auch noch bestraft werden.

Klare Vorgaben für Compliance

Der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) hat hier vorgeschlagen, die Aufsichts- und Organisationspflichten inhaltlich zu konkretisieren. Rechtsprechung und Literatur haben über Jahre hinweg eine Auslegung dieser Pflichten vorgenommen, ohne den Unternehmen aber klare Leitlinien für eine effektive Compliance an die Hand zu geben. „Standards“ wie die US Sentencing Guidelines oder der UK Bribery Act zeigen jedoch, dass dies möglich ist.

Durch klare gesetzliche Vorgaben bei Compliance und durch Schaffung von Anreizen zur Initiierung von internen Kontrollsystemen, Ethik- und Compliance-Programmen (insbesondere auch bei kleinen und mittleren Unternehmen unter Berücksichtigung von deren spezifischen Rahmenbedingungen) kann viel besser erreicht werden, dass von Unternehmen ausgehende Straftaten und Ordnungswidrigkeiten vermieden werden. Dies wäre ein angemesseneres Vorgehen,  als durch ein „Verbandsstrafgesetzbuch“ massiv in die gewachsene dogmatische Struktur des Rechts der Unternehmenssanktionen einzugreifen.