Aus steuersystematischer Sicht ist zu befürchten, dass bei der Reform der Erbschaftsteuer der große Wurf ausbleibt

Der Streit um die Reform der Erbschaftsteuer geht quer durch die politischen Reihen. Der umstrittenste Punkt ist das Vererben oder Verschenken größerer Unternehmen – auch börsennotierter. Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hat am 17. Dezember des vergangenen Jahres entschieden, dass die „Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar ist“. Im Klartext bedeutet dies: Der Gesetzgeber muss das Vererben und Verschenken von Unternehmen steuerlich neu regeln. Zeit hat er bis Mitte kommenden Jahres (vgl. bdp aktuell 114).

Die bisherige Regelung

Bisher ist es so, dass beispielsweise größere Wertpapierdepots oder Immobilien der Erbschaftsteuer unterliegen. Die Höhe der Steuer hängt oberhalb des Freibetrags vom Verwandtschaftsverhältnis und der individuellen Steuerklasse ab. Je nachdem langt der Fiskus mit sieben bis 50 Prozent der Erbmasse zu. Bei Unternehmen gilt eine andere Regelung: Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern können bislang noch unbürokratisch vererbt oder verschenkt werden, ohne dass das Finanzamt die Hand aufhält.

Erst ab 20 Beschäftigten wird geprüft, ob deren Arbeitsplätze erhalten bleiben und das Unternehmen fortgeführt wird. Ist dies der Fall, fällt auch hier kaum oder sogar gar keine Erbschaftsteuer an. Diese Ungleichbehandlung verschiedener Vermögen geht den Verfassungsrichtern zu weit. Sie akzeptieren zwar grundsätzlich die Privilegierung von Betriebsvermögen, also von Unternehmen. Schließlich geht es um den Erhalt der mittelständischen Wirtschaft und der entsprechenden Arbeitsplätze. Aber eben nicht im bisherigen Ausmaß. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert.

Schäubles umstrittene Eckpunkte

Für die Neuregelung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble zuständig. Er hat kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen nur „minimalinvasiven Eingriff“ versprochen. Die konkreten Reformvorschläge des obersten Kassenwarts sind allerdings alles andere als mikroskopisch klein (vgl. bdp aktuell 117). Schäuble will künftig schon ab einem Unternehmenswert von 20 Millionen Euro die sogenannte Bedürfnisprüfung einfordern. D. h., dann müssen auch die Erben kleinerer und mittelständischer Betriebe nachweisen, dass die Zahlung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer die Fortführung des Unternehmens gefährdet. Die Marke von 20 Millionen Euro sieht dabei auf den ersten Blick weitaus größer aus, als sie tatsächlich ist. Nach dem geltenden vereinfachten Ertragswertverfahren reicht derzeit angesichts der historisch niedrigen Zinsen nämlich schon ein Gewinn von etwas mehr als 1,1 Millionen Euro, um diese Marke zu überschreiten. Das Gros der börsennotierten Familienunternehmen, also beispielsweise die Mitglieder des German Entrepreneurial Index (GEX), verfügt ebenfalls über einen Unternehmenswert von mehr als 20 Millionen Euro. Strittig ist zudem, dass Schäuble bei der Bezahlung der fälligen Erbschaft- und Schenkungsteuer bis zu 50 Prozent des Privatvermögens der Erben und Beschenkten heranziehen möchte.

Proteststurm des Mittelstands

Gegen die Pläne des Finanzministers laufen vor allem mittelständische Verbände wie der der Familienunternehmer und Politiker Bayerns und Baden-Württembergs Sturm. Dort sind besonders viele Mittelständler angesiedelt. Andere Bundesländer wie das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen finden dagegen die Vorschläge Schäubles vernünftig. Die Erbschaftsteuer fließt übrigens nicht dem Bund, sondern den Ländern zu.

Aus steuersystematischer Sicht ist zu befürchten, dass bei der Reform der Erbschaftsteuer der große Wurf ausbleibt. Wünschenswert wäre eine Vereinfachung statt der sich jetzt abzeichnenden Verkomplizierung. Es ist absehbar, dass eine Bedürfnisprüfung, die künftig deutlich mehr Unternehmen bzw. Erben durchlaufen müssen als heute, mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden ist. Der Streit um die Reform der Erbschaftsteuer könnte insbesondere dadurch entschärft werden, dass es eine breite Bemessungsgrundlage und dafür niedrige Steuersätze gibt – und zwar für alle Vermögensbestandteile. Am einfachsten wäre es jedoch, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen. Im vergangenen Jahr trug sie deutlich weniger als 0,9 Prozent zum gesamten Steueraufkommen Deutschlands bei.