Es kann praktisch jeder Unternehmer sowohl als Leistungsempfänger als auch als Leistungsverpflichteter unter Druck geraten. Wir erläutern, wie mit Verträgen in der Krise zu verfahren ist.

“Should I stay or should I go?”, so sang eine Band zu Beginn der Achziger, die den bezeichnenden Namen „The Clash“ (Konflikt, Zusammenprall) trug. Diese Frage stellen sich heute viele Unternehmer, die durch die Corona-Krise in einen Konflikt mit ihrem Vertragspartner geraten. 

Wir lesen gerade, dass große Konzerne ihre Mieten nicht mehr bezahlen. Wie steht es also um die Möglichkeit, Verträge zu beenden oder die Leistungen einzustellen, um den zu erwartenden Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft zu begegnen? Und wenn ich einen Vertrag beende oder meine Leistung nicht erbringe, was erwartet mich dann? Schadensersatzansprüche?

Prüfung der Verträge 

Wer mit dem Ausland Geschäfte tätigt, sollte als erstes den Vertrag darauf überprüfen, welches Recht laut dem Vertrag anwendbar ist; deutsches oder ausländisches Recht, bei Kaufverträgen: UN-Kaufrecht? Dann sollte man den Vertrag darauf untersuchen, ob er bereits eine wirksame Regelung zu höherer Gewalt bzw. eine force-majeure-Klausel enthält? Probleme können sich insbesondere dann bei der Wirksamkeit ergeben, wenn die Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt wird. Dann muss nämlich auch geprüft werden, ob die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen sind. AGB, die gegenüber Verbrauchern genutzt werden, unterliegen einer strengeren AGB-Kontrolle als die AGB im B2B-Bereich. Trotzdem sollte insbesondere im B2B-Bereich überprüft werden, ob die einzelnen Rechtsfolgen (Schadensersatz, Stornierungsgebühr) von solchen AGB-Klauseln wirksam sind. 

Wenn feststeht, dass der Vertrag eine wirksame Klausel zu höherer Gewalt enthält, sind die Rechtsfolgen und Pflichten primär aus der Klausel selbst zu entnehmen (siehe 1. Fallgruppe). Ergänzend hierzu und falls es keine Klausel zu höherer Gewalt gibt, muss auf das jeweils anwendbare Recht zurückgegriffen werden (siehe 2. Fallgruppe). 

1. Fallgruppe: Der Vertrag enthält eine Klausel zu höherer Gewalt

Der Begriff höhere Gewalt bzw. force majeure betrifft den Eintritt eines unabwendbaren und unvorhersehbaren schadenverursachenden Ereignisses von außen (objektive Voraussetzung), das auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden kann (subjektive Voraussetzung).

Zwar umfassen die meisten vertraglichen Klauseln zu höheren Gewalt auch Fälle von Epidemien (meist als Krankheiten oder Seuchen bezeichnet), allerdings ist zu beachten, dass sich eine Vertragspartei nur auf eine Befreiung von Vertragspflichten berufen kann, die tatsächlich von höherer Gewalt betroffen sind. Hierzu trägt die Partei die Darlegungs- und Beweislast, d.h. sie muss beweisen, dass die Lieferung nicht möglich war, weil z.B. die Produktion aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen werden musste. Der betroffene Lieferant muss also das Vorliegen der höheren Gewalt dokumentieren und relevante Vertragsunterlagen und die Dokumentation über die Lieferung und die Umstände, die die Lieferung unmöglich machen oder verzögern, aufbewahren.  

Darüber hinaus verlangen viele Klauseln, dass das Vorliegen höherer Gewalt der anderen Vertragspartei rechtzeitig angezeigt und alles unternommen werden muss, um einen weiteren Schaden zu verhindern. Diese Fristen und Handlungspflichten sollten aus dem Vertrag entnommen werden. Erfolgt die Anzeige nicht oder verspätet, droht das Risiko, dass sich der Lieferant nicht mehr auf höhere Gewalt berufen kann. Darüber hinaus kann er sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er gegen die Anzeige- oder sonstigen Handlungspflichten verstößt.

Bei Lieferketten mit mehreren (Sub-)Unternehmen ist auch zu beachten, dass der Einwand der höheren Gewalt zunächst nur die beteiligten Vertragsparteien betrifft. Kann der Lieferant nur deswegen nicht liefern, weil sein Vorlieferant aufgrund höherer Gewalt nicht liefern kann, befreit dies grundsätzlich den Lieferanten nicht von seiner Leistungspflicht. In der Regel trägt der Verkäufer/Lieferant das Beschaffungsrisiko hinsichtlich der von ihm verkauften Produkte. Er trägt also das Risiko, dass er sich diese Vormaterialien oder -produkte auch rechtzeitig beschaffen kann. Ist ein äquivalentes Produkt verfügbar, aber z.B. nur zu einem deutlich höheren Preis, wird sich der Lieferant kaum gegenüber seinem Vertragspartner auf höhere Gewalt berufen können.

Rechtsfolge des Vorliegens höherer Gewalt ist grundsätzlich, dass der Vertrag aufgelöst wird. Aber: Weitere mögliche Rechtsfolgen können sein, dass die Vertragspflichten nur zeitlich begrenzt ausgesetzt werden oder dass ein Kündigungsrecht besteht. Die konkrete Rechtsfolge sollte aus dem Vertrag entnommen werden. Regelt der Vertrag nichts, dann muss man auf das anwendbare Recht (deutsches oder ausländisches Recht) achten, das etwaige Lücken füllt. 

2. Fallgruppe: Gesetzliche Regelungen

Als Ergänzung zu einer vertraglichen Regelung, oder falls es keine Klausel zu höherer Gewalt gibt, kann auf das jeweils anwendbare Gesetz zurückgegriffen werden. Welches Recht anwendbar ist, wird in der Regel vertraglich vereinbart. Sollte der Vertrag keine Regelungen hierzu enthalten, verweisen wir auf bdp aktuell 139 | Mai 2017. 

Hier werden nur die Vorschriften des deutschen Rechts und des UN-Kaufrechts erläutert (mehr: bdp aktuell 152 | Juli 2018).

Deutsches Recht

Die Berufung auf die höhere Gewalt bei Verträgen, die dem deutschen Recht unterliegen, ist nicht möglich, da es eine solche Begrifflichkeit grundsätzlich nicht kennt. Demzufolge muss auf die allgemeinen Regelungen der Leistungsstörungen zurückgegriffen werden: der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) und der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). 

Unmöglichkeit der Leistung

Es gibt drei Arten von Unmöglichkeit:

  • absolute bzw. faktische Unmöglichkeit (objektiv und subjektiv)
  • Unmöglichkeit aufgrund unverhältnismäßig großen Aufwandes
  • Unmöglichkeit bei persönlich zu erbringenden Leistungen (insb. Arbeitsverträgen)

Die Fälle der absoluten/faktischen Unmöglichkeit sind selten. Denn die absolute Unmöglichkeit liegt nur dann vor, wenn das Leistungshindernis wirklich nicht überwindbar ist und die Leistung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen oder mit allen denkbaren Anstrengungen nicht erbracht werden kann. Eine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen liegt z. B. vor, wenn das Leistungshindernis auf behördlichen bzw. staatlichen Verboten beruht. Bloße behördliche Empfehlungen oder Genehmigungen mit Auflagen führen jedoch in der Regel nicht zu einer absoluten Unmöglichkeit. Die Beweislast für das Vorliegen der Unmöglichkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft. Auch in diesem Fall sollten alle Vertragsunterlagen und Dokumente aufbewahrt werden, aus denen sich die Umstände der Unmöglichkeit ergeben. 

Es ist aber zu beachten, dass die absolute Unmöglichkeit eher selten anzunehmen ist. Meistens ist die Leistung nicht unmöglich, sondern erfordert nur einen unverhältnismäßig hohen Aufwand. Hat ein Unternehmen sich z. B. verpflichtet an seine Kunden Atemschutzmasken zu liefern, ist auch hier zu beachten, dass ein Lieferant grundsätzlich das Beschaffungsrisiko trägt. Wenn es z.B. im Ausland noch Atemschutzmasken gibt, diese aber unverhältnismäßig teuer sind, liegt in der Regel keine absolute Unmöglichkeit vor. Vielmehr kann der Schuldner seine Leistung nach § 275 Abs. 2 BGB verweigern, soweit ein grobes Missverhältnis zwischen dem Aufwand und dem Leistungsinteresse des Gläubigers besteht. Die Beweislast trägt auch hier der Schuldner. Wichtiger Unterschied zu der absoluten Unmöglichkeit ist, dass im Falle der absoluten Unmöglichkeit der Schuldner vom Gesetz her von der Leistungspflicht befreit wird. Bei der Unmöglichkeit wegen unverhältnismäßigen Aufwands muss sich der Schuldner aber in jedem Falle explizit darauf berufen, da es sich um eine sogenannte Einrede handelt.

Folge der Unmöglichkeit einer Leistung

Als Rechtsfolge sieht § 275 BGB den Ausschluss der Leistungspflichten vor. Der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung ist grundsätzlich ausgeschlossen;  der Gläubiger kann eine bereits bewirkte Gegenleistung zurückverlangen.

Damit könnte man meinen, dass Gläubiger und Schuldner „pari-pari“ sind. Das ist aber nur der Fall, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit gleich welcher Art nicht vertreten musste. Es kommt also auf das Vertretenmüssen des Schuldners an, also ob er fahrlässig oder vorsätzlich die Unmöglichkeit der Leistung herbeigeführt hat. Hat der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten, dann kann der Gläubiger

  • Schadensersatz statt der Leistung verlangen,
  • auch einen Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen haben oder
  • die Herausgabe eines Ersatzes verlangen.

So sind z. B. bei der Frage, wann ein grobes Missverhältnis zwischen Aufwand und Leistungsinteresse besteht, nicht nur die Wertverhältnisse, sondern auch der Inhalt des Vertrages, Treu und Glauben und ein eventuelles Vertretenmüssen des Leistungshindernisses durch den Schuldner zu berücksichtigen. Notwendig ist stets eine Gesamtabwägung des Einzelfalls, und aus dem Grund können keine allgemeingültigen Aussagen gemacht werden. 

Allerdings kann bei der Abwägung insbesondere zu berücksichtigen sein, dass der Schuldner vertraglich für den Nichteintritt des Leistungshindernisses das Risiko übernommen hat. Wer sich beispielsweise jetzt in Kenntnis des Corona-Virus zur Lieferung von Atemschutzmasken verpflichtet, übernimmt stillschweigend das Risiko dafür, dass die Beschaffung wegen unvorhergesehener Schwierigkeiten aufwändiger werden könnte als erwartet.

Störung/Wegfall der Geschäftsgrundlage

Liegt kein Fall der Unmöglichkeit oder ein Unvermögen im vorgenannten Sinne vor, so kann dem Vertrag dennoch die Grundlage entzogen sein:

Beispiel: Ein Veranstalter hat von einem Hotel Räumlichkeiten für seine Veranstaltung gebucht. Nun wird die Veranstaltung aufgrund einer behördlichen Anordnung untersagt. Was kann der Veranstalter tun?

Der Veranstalter kann sich zwar gegenüber den Besuchern der Veranstaltung auf die Unmöglichkeit berufen. Der Veranstalter wird also von seiner Verpflichtung frei. Gleichzeitig verliert er auch seinen Anspruch auf Vergütung. Wurden z.B. bereits Tickets von den Besuchern gezahlt, sind diese zurückzuzahlen. Anders sieht es jedoch für die Buchung von den Räumlichkeiten für die Veranstaltung aus. Allein durch die Absage der Veranstaltung liegt kein Fall der Unmöglichkeit der Leistung vor. Die Räumlichkeiten könnten auch ohne die Veranstaltung genutzt werden. Für die Buchung der Räumlichkeiten ist nur der Anlass der Buchung weggefallen. Dies begründet aber keine Unmöglichkeit der Leistung. 

Der Veranstalter kann sich aber unter Umständen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. 

Die benachteiligte Partei kann Vertragsanpassung nach § 313 BGB verlangen, falls die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich schwerwiegend verändert haben. Die in Frage stehenden Umstände und Vorstellungen, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind, müssten sich schwerwiegend verändert haben, entweder durch eine Veränderung der Umstände nach dem Vertragsschluss oder durch ursprünglich unzutreffende Fehlvorstellungen. Diese können nur auf Umstände des jeweiligen Vertrags bezogen sein oder auf grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen gerichtet gewesen sein. Maßgeblich ist aber, dass sie relevant für den Vertragsschluss waren und dieser sonst gar nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen worden wäre.

Auch hier können keine pauschalen Angaben gemacht werden, da es immer auf den Einzelfall ankommt. Anders wäre der Fall zum Beispiel dann zu beurteilen, wenn das Hotel mit einem Veranstaltungsverbot belegt wäre. Dann läge auch auf Seiten des Hotels eine Unmöglichkeit vor, die zu einer Beendigung der beiderseitigen Pflichten führen würde. 

Liegen die Voraussetzungen aber vor, so kann die eine Partei Vertragsanpassung verlangen. Ist dies jedoch nicht möglich oder dem anderen Teil nicht zumutbar, so kann die benachteiligte Partei vom Vertrag zurücktreten bzw. den Vertrag kündigen.

Kaufverträge im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts

Wichtiger Unterschied zum deutschen Recht ist, dass das UN-Kaufrecht eine verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers vorsieht. Es ist also für die Haftung des Verkäufers grundsätzlich ohne Belang, ob dieser eine Schlechtleistung oder Nichtleistung zu vertreten hat oder nicht – er haftet. Da die Vorschriften des UN-Kaufrechts zum größten Teil aber dispositiv sind, können die Parteien davon abweichen oder zusätzlich eigene Regelungen vereinbaren (was man als Lieferant auch tun sollte).  

Auch wenn das UN-Kaufrecht eine verschuldensunabhängige Haftung vorsieht, enthält Art. 79 CISG die Regelung zum sanktionslosen Leistungsausschluss, vergleichbar der Unmöglichkeit im deutschen Recht, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. Dieser liegt dann vor, wenn eine Partei durch einen von ihr nicht zu vertretenden und bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Umstand an der Leistung gehindert ist, wenn sie dies unverzüglich der anderen Partei anzeigt. Die an der Erfüllung gehinderte Partei hat die Pflicht, der anderen Partei den Hinderungsgrund binnen angemessener Frist mitzuteilen. Die Benachrichtigung soll der anderen Vertragspartei die Möglichkeit geben, selbst rasche Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Die Pflicht ist auch Ausdruck des Kooperationsverhältnisses zwischen den Parteien. Ihre Versäumung macht ggf. schadensersatzpflichtig.

Epidemien, Blockaden und Schließungen von Transportwegen sind als Fallgruppen des Art. 79 CISG anerkannt. Maßgeblich ist aber die jeweilige Betroffenheit einer Vertragspartei im Einzelfall. 

Art. 79 CISG schließt zunächst nur solche Schadensersatzansprüche aus, die aufgrund der Konvention gegeben sind. Andere Ansprüche bleiben grundsätzlich unberührt. Vertragliche Vereinbarungen, insbesondere Vertragsstrafen, Schadenspauschalen, besondere Vertragsgarantien werden also nicht unmittelbar berührt. Auch die Erfüllungsansprüche bleiben unberührt. Ist die Erfüllung des Vertrags aber objektiv unmöglich, kann diese nicht erzwungen werden, sodass sowohl die Leistungs- als auch die Gegenleistungspflicht entfällt.

Fazit

Da die Pandemie nahezu alle Wirtschaftszweige belastet, gerät ein Unternehmen fast automatisch in eine Sandwichsituation: auf der einen Seite ist es Leistungsempfänger, auf der anderen Seite ist es Leistungsverpflichteter – und seine Vertragspartner genauso. Jeder kann sich also in Bezug auf jedes Vertragsverhältnis die Frage stellen, ob er selbst oder sein Vertragspartner leisten muss oder sich aus dem Vertrag zurückzieht, weil er von der Pandemie betroffen ist. Und man wird in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob ein Unternehmen von seiner ganz individuellen Leistungspflicht befreit ist oder kündigen kann oder eine Vertragsanpassung verlangen kann oder Schadensersatz verlangen kann oder oder oder … 

Es ist zu befürchten, dass dem Schock eine Welle von Streitigkeiten folgen wird. Wir meinen, dass der Streit, insbesondere die gerichtliche Auseinandersetzung, die „ultima ratio“ des unternehmerischen Handelns sein sollte, auch und gerade in dieser Zeit. Stattdessen sollten Unternehmer versuchen, zur Überbrückung der Krise Regelungen zu treffen, die beiden Seiten das (Über-)Leben sichert. Für zukünftige Geschäfte sollte man seine Verträge oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen darauf untersuchen, ob z. B. Bestimmungen über höhere Gewalt vorliegen. Hierbei helfen Ihnen die Anwälte von bdp gerne – und natürlich auch im Streitfall.