BFH: Längerer Arbeitsweg kann auch ohne große Zeitersparnis verkehrsgünstiger sein

Arbeitnehmer können auch dann den längeren Weg zur Arbeit als offensichtlich verkehrsgünstiger steuerlich geltend machen, wenn sie dabei keinen deutlichen Zeitgewinn gegenüber der kürzesten Strecke erzielen. Der Ansicht der Finanzverwaltung, die längere Strecke müsse mindestens 20 Minuten Zeitvorteil bringen, hat jetzt der Bundesfinanzhof mit zwei Urteilen (Az. VI R 19/11 und Az. VI R 46/10) verworfen.

Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte sind als Werbungskosten bei der Einkommensteuererklärung zu berücksichtigen. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 Euro anzusetzen (maximal 4.500 Euro pro Jahr)

Für die Bestimmung der Entfernung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte maßgebend. Eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann nur zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig genutzt wird.

Dem Bundesfinanzhof lag die Frage vor, ob ggf. auch die verkehrsgünstigere, aber längere Fahrtstrecke berücksichtigt werden kann. Hierzu hatte der BFH 1975 entschieden, dass eine Straßenverbindung dann als verkehrsgünstiger anzusehen ist, wenn der Arbeitnehmer eine andere - längere - Straßenverbindung nutzt und auf diese Weise die Arbeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher erreicht. „Offensichtlich” verkehrsgünstiger ist die vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte.

Der Gesetzgeber wollte damit denjenigen Arbeitnehmern, die zur Ableitung der Verkehrsströme längere, aber zeitlich günstigere Verkehrsverbindungen durch Schnell- oder Ringstraßen nutzen, den Abzug der hierdurch entstehenden höheren Aufwendungen ermöglichen. Konkrete zeitliche Vorgaben, die erfüllt sein müssen, um eine Straßenverbindung als „offensichtlich verkehrsgünstiger” als die kürzeste Fahrtroute anzusehen, gab die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vor.

Auch sieht das Gesetz nicht vor, dass die vom Arbeitnehmer gefahrene Strecke verkehrsgünstiger als alle übrigen möglichen Verbindungen sein muss, d. h., dass es sich um die verkehrsgünstigste Strecke überhaupt handeln muss.

Das FG Düsseldorf hielt jedoch 2005 eine Zeitersparnis von mindestens 20 Minuten für erforderlich, um eine Straßenverbindung als „offensichtlich verkehrsgünstiger” anzusehen. Dem ist nun nicht mehr zu folgen.

Insbesondere kann nicht in jedem Fall eine Zeitersparnis von 20 Minuten gefordert werden, weil die Entfernungspauschale für jeden Arbeitsweg anzuwenden ist und bei einer solchen Auslegung für kürzere Strecken, beispielsweise wenn die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf der kürzesten Strecke regelmäßig nur etwa 20 Minuten dauert, praktisch keinen Anwendungsbereich mehr hätte, weil in diesem Fall eine zeitliche Verkürzung auf der schnellsten Strecke nicht mehr als 20 Minuten ergeben könnte. Hieraus ist ersichtlich, dass zeitliche Erfordernisse ins Verhältnis zur Gesamtdauer der Fahrten gesetzt werden müssen.

Entsprechend ist die Frage, ob eine Straßenverbindung als „offensichtlich verkehrsgünstiger” als die kürzeste Route angesehen werden kann, nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Ist allenfalls eine geringfügige Verkürzung von unter 10 % der für die kürzeste Verbindung benötigten Fahrzeit zu erwarten, so spricht viel dafür, dass diese minimale Zeitersparnis allein für einen verständigen Verkehrsteilnehmer keinen ausschlaggebenden Anreiz darstellen dürfte, eine von der kürzesten Verbindung abweichende Route zu wählen. Umgekehrt ist eine relativ große zu erwartende Zeitersparnis ein Indiz dafür, eine Verbindung als „offensichtlich verkehrsgünstiger” anzusehen.

Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass das Merkmal der Verkehrsgünstigkeit auch andere Umstände als eine Zeitersparnis beinhaltet. So kann eine Straßenverbindung auch dann „offensichtlich verkehrsgünstiger” sein als die kürzeste Verbindung, wenn sich dies aus Umständen wie Streckenführung, Schaltung von Ampeln oder Ähnlichem ergibt. Deshalb kann eine „offensichtlich verkehrsgünstigere” Straßenverbindung auch vorliegen, wenn nur eine relativ geringe oder gar keine Zeitersparnis zu erwarten ist, sich die Strecke jedoch aufgrund anderer Umstände als verkehrsgünstiger erweist als die kürzeste Verbindung.

Generell ist dabei immer die kürzeste Strecke mit der vom Arbeitnehmer regelmäßig für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzten längeren Straßenverbindung zu vergleichen. Weitere mögliche, vom Arbeitnehmer tatsächlich aber nicht benutzte Fahrtstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bleiben dagegen unberücksichtigt.

Diese Auslegung entspricht schließlich auch dem Vereinfachungsgedanken. Nach der gesetzlichen Regelung der Entfernungspauschale für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sollte grundsätzlich die kürzeste Verbindung zwischen beiden Orten maßgeblich sein.

Aus den genannten Gründen ließ der Gesetzgeber eine Ausnahme für eine vom Arbeitnehmer regelmäßig benutzte verkehrsgünstigere Verbindung zu. Würde man zusätzlich verlangen, dass die vom Arbeitnehmer tatsächlich benutzte Fahrtstrecke die verkehrsgünstigste überhaupt sein muss, so hätte dies die Notwendigkeit umfangreicher Ermittlungen durch die Finanzbehörden und ggf. die Finanzgerichte einschließlich etwaiger Beweiserhebungen zur Folge. In jedem Einzelfall müsste unter Einbeziehung sämtlicher Streckenvarianten geprüft werden, welche Verbindung als am verkehrsgünstigsten anzusehen ist. Vergleicht man demgegenüber lediglich die - leicht feststellbare - kürzeste Verbindung mit der tatsächlich benutzten, über die der Steuerpflichtige Auskunft geben kann, so bleibt der Vereinfachungsgedanke der Norm erhalten.