Ob mit Deal oder ohne Deal: Geradezu im Verborgenen spielen sich die sonstigen Folgen des Brexits ab. Auf Fachebene ist klar, dass die Verflechtung mit der EU nicht über Nacht gelöst werden kann. Wir rekapitulieren den Stand der Dinge.

Wenn Sie diesen Beitrag lesen, hat die Zeitgeschichte ihn möglicherweise nach Redaktionsschluss überholt – aber nur dann, wenn der Brexit abgesagt worden sein sollte! Denn es wird gerne übersehen, dass der noch ausstehende „Deal“ längst nicht alle Fragen betrifft, die beim Brexit zu regeln sind. Mit dem vorliegenden Beitrag wollen wir Sie für Sachverhalte sensibilisieren, die nach gegenwärtigem Stand der Dinge mit einem Brexit kommen werden – mit oder ohne Deal! 

Rechtssicherheit trotz politischer Unsicherheit

Das britische Unterhaus hat wiederholt den Brexit-Vertrag abgelehnt. Es wird immer wahrscheinlicher, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union ohne Abkommen verlassen wird. Allgemein bekannt ist, dass die EU als Staatenverbund nicht nur eine repräsentative Dachorganisation ist, sondern durch Kompetenzübertragung ihrer Mitgliedsstaaten auch legislativ tätig wird. Über die Jahre sind im gemeinsamen Handeln der Mitgliedsstaaten und unter dem Einfluss der EU ungefähr 22.000 Gesetze entstanden. Trotz reger politischer Dynamik ist eine gewisse Rechtssicherheit zu gewährleisten und zu klären, ob und wie die enorme Lücke zu schließen ist, die im Rechtssystem durch den Austritt entsteht. 

Obwohl es bei den politischen Verhandlungen und Abstimmungen nicht voranzugehen scheint, sind die Briten während der vergangenen zwei Jahre nicht untätig gewesen. 

Wie steht es nun also um die Rechtssicherheit und das EU-Recht nach dem Brexit?

Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gilt das sogenannte „Primärrecht“ nicht mehr, das heißt, der Vertrag der Europäischen Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die das politische System, die Organisation und Aufgaben der EU ähnlich einer Verfassung regeln, finden keine Anwendung mehr. 

Die besagten circa 22.000 Gesetze sind solche des sogenannten „Sekundärrechts“, das die Gesetze umfasst, die durch die oder aufgrund der EU entstanden sind. 

Zum einen EU-Verordnungen, die gemäß Art. 288 II AEUV unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gelten, ohne dass es einen „zwischengeschalteten“ Umsetzungsakt durch die nationalen Gesetzgeber bedarf. Durch den besagten Wegfall der Geltung der Europäischen Verträge entfällt auch die Regelung des Art. 288 AEUV zur unmittelbaren Geltung, und diese Art von Gesetzen finden keine Anwendung mehr für das Vereinigte Königreich. 

Zum anderen sind EU-Richtlinien ein Teil des Sekundärrechts und bilden ein Gegenstück zu den Verordnungen. Die EU-Richtlinien werden politisch auf Unionsebene beschlossen, bedürfen jedoch zum rechtlichen Inkrafttreten einen Umsetzungsakt auf nationaler Ebene. In der Praxis geschieht das im Falle des Vereinigten Königreichs durch den sogenannten „European Communities Act“ (ECA), der als rechtlicher Mechanismus die Umsetzung des EU-Rechts (Verordnungen und Richtlinien) in bindendes britisches Recht vornimmt. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nimmt diesem Mechanismus jedoch die Grundlage, sodass die bisher umgesetzten Verordnungen und Richtlinien nicht mehr gelten. 

Um den Wegfall des europäischen Sekundärrechts rechtlich aufzufangen, hat das Vereinigte Königreich im Juni 2018 den „European Union (Withdrawal) Act 2018“ (oder auch „Great-Repeal Bill“) verabschiedet. Im Wesentlichen werden dort zwei Aspekte geregelt: Zum einen die Aufhebung des European Communities Act. Dadurch wird die rechtlich hierarchische Überordnung von EU-Recht beendet und das britische Parlament quasi wiederermächtigt. 

Zum anderen die Übernahme und Transformation des bisherigen EU-Rechts in britisches Recht als sogenanntes „retained EU law“. Das Vereinigte Königreich hebt also in einem Atemzug die „Unterwerfung“ unter das EU-Recht auf, um zugleich die bestehenden, auf EU-Recht basierenden Regelungen als verbindliches – nun aber „nationales Recht“ – wieder einzuführen! 

Dieses Vorgehen ist eine Übergangslösung, die dem britischen Gesetzgeber Raum geben soll, mit der gebotenen Gründlichkeit zu entscheiden, welche konkreten Gesetze gelten oder nicht gelten oder gegebenenfalls geändert werden sollen. 

Da der britische Gesetzgeber sich aber offensichtlich bewusst ist, dass Gesetzgebungsverfahren langwierig sind, wird den Ministerien für eine Übergangszeit das Recht eingeräumt, durch ministeriellen Erlass Änderungen an dem übernommenen Recht durchzuführen. Wenn man bedenkt, wie sehr die britische Regierung das vermeintliche Demokratiedefizit in der Europäischen Union kritisiert hat, ist das ein erstaunliches Vorgehen!

Auswirkungen des Brexits auf internationale Verträge

Das Internationale Privatrecht (IPR) regelt im Kern die Frage, welches Recht auf einen Sachverhalt anwendbar ist, der eine Verbindung zu den Rechtsordnungen mehrerer Staaten aufweist. Im Bereich des Schuldvertragsrechts (wozu z. B. Kauf- und Lieferverträge gehören) wird die Frage noch – das heißt vor dem Brexit - durch die sogenannte ROM-I-Verordnung geregelt. Danach ist die freie Rechtswahl der Parteien möglich. Das heißt, wählbar ist grundsätzlich jede staatliche Rechtsordnung. Bei fehlender Rechtswahl unterliegen beispielsweise Kaufverträge dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es ist anzunehmen, dass bereits geschlossene Rechtswahlklauseln auch nach dem Brexit wirksam bleiben. Soweit britisches Recht gewählt wurde, ist dabei zu beachten, inwiefern sich dieses mit dem Brexit ändern wird. Das EU-Recht ist dann nicht mehr Teil des britischen Rechts, und die britischen Gerichte sind folglich nicht mehr an die Rechtsprechung des EuGH gebunden. 

In der EU wird die ROM-I-VO nach dem Brexit weiterhin im Verhältnis zu allen Staaten gelten, also gegenüber allen EU-Mitgliedsstaaten und auch Drittstaaten wie dem Vereinigten Königreich. Dieses erhält rechtlich dann den gleichen Status wie z. B. die Türkei oder Argentinien. 

Aber wie wird die Frage nach dem anwendbaren Recht im Vereinigten Königreich nach dem Brexit geregelt?

Eine Möglichkeit ist, dass die Vorschriften der ROM-I-VO in nationales britisches Recht durch Erlass des „Great Repeal Bill“ umgewandelt werden (siehe oben). Dann würde die ROM-I-VO als britisches Recht gelten. Allerdings wäre auch hier zu beachten, dass die britischen Gerichte nicht mehr an die Rechtsprechung des EuGH gebunden sind und ROM-I-VO nur soweit britisches Recht darstellen würde, wie das Vereinigte Königreich die ROM-I-VO in nationales Recht übernimmt. Ohne Bindung an EU-Recht und EU-Rechtsprechung kann das Vereinigte Königreich also nach seinem Belieben von den Regelungen abweichen.

Brexit und dann?

Brexit und dann?

Sollten die Vorschriften der ROM-I-VO nicht in nationales britisches Recht umgewandelt werden, soll in dem Vereinigten Königreich die Frage nach dem anwendbaren Recht wieder durch „Contracts (Applicable Law) Act 1990“ geregelt werden. Nach dem Gesetz sollen Rechtswahlklauseln ähnlich wie im Rahmen der ROM-I-VO wirksam sein und alte Rechtswahlklauseln auch wirksam bleiben. Jedoch bestehen Unsicherheiten bei der Frage, welches Recht gelten soll, wenn die Parteien keine Rechtswahlklausel vereinbart haben.

Bei der Frage nach dem Gerichtsstand und der Vollstreckung von Urteilen kann zurzeit die größte rechtliche Sicherheit nur durch die explizite Vereinbarung von Schiedsgerichtsklauseln erreicht werden. Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen wird vom New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 geregelt, dessen Mitglieder u. a. auch Deutschland und das Vereinigte Königreich sind. Der Brexit hat keinerlei Einfluss darauf, sodass Entscheidungen von Schiedsgerichten auch nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU in jede Richtung vollstreckbar sind. Das heißt, deutsche Schiedssprüche sind im Vereinigte Königreich sowie britische Schiedssprüche in Deutschland und anderswo in der EU vollstreckbar. 

Auswirkungen des Brexits auf das Gesellschaftsrecht

Mit wenigen Ausnahmen (z. B. die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) oder Europäische Gesellschaft (Societas Europaea (SE)) gibt es kein europäisches Gesellschaftsrecht. Gleichwohl hat der Brexit zum Teil erhebliche Auswirkungen, insbesondere auf die in Deutschland eine Zeit lang so beliebte Limited (Ltd.). Die Ltd. konnte (und kann) im Vereinigten Königreich kostengünstig errichtet und dann der sogenannte Verwaltungssitz nach z. B. Deutschland verlegt werden. So sind mehrere tausend Limiteds gegründet worden. Der Boom brach erst mit der „deutschen Antwort auf die Limited“, der Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), ab Ende 2008 ein. 

Möglich wurde die Gründung im Vereinigten Königreich und „Verlegung“ in die EU-Staaten nur, weil aufgrund der Rechtsprechung des EuGH als Ausdruck der Niederlassungsfreiheit in der EU die EU-Mitgliedsstaaten untereinander rechtmäßig gegründete Unternehmen anzuerkennen haben: Wenn also im Vereinigten Königreich eine Ltd. wirksam gegründet wird, muss in Deutschland (und den anderen EU-Staaten) die Gründung anerkannt und diesem Unternehmen erlaubt sein, eine Niederlassung in einem europäischen Nachbarstaat zu gründen. Dadurch wurde es den Gründern der Limiteds ermöglicht (letztlich unter Umgehung der Kapitalaufbringungsvorschriften des deutschen GmbH-Rechts vor Einführung der Unternehmergesellschaft), in Deutschland mit „einem Pfund“ eine Gesellschaft mit Haftungsschutz zu betreiben. 

Dies gilt aber nur innerhalb der EU! Mit dem Brexit verlässt das Vereinigte Königreich die EU. Dies hat zumindest in Deutschland erhebliche Auswirkungen auf den Fortbestand einer Limited als einer Gesellschaftsform mit Haftungsbeschränkung! Nur unter dem Einfluss der EuGH-Rechtsprechung kommt auch die deutsche (BGH-)Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass die Limited in Deutschland als Gesellschaft mit Haftungsbegrenzung anerkannt wird. Scheidet das Vereinigte Königreich aus der EU aus, verliert die Limited auch den Schutz der EuGH-Rechtsprechung. Sofern die deutsche Rechtsprechung ihre bisherige Linie weiter verfolgt, wandelt sich eine Limited gewissermaßen in ein Einzelunternehmen (bei Ein-Personen-Limiteds) oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts bzw. OHGs (bei Mehr-Personen-Gesellschaften) um. Die Folge ist, dass die Gesellschafter in Zukunft persönlich für die Schulden der Gesellschaft haften! Wer diese Haftungsfolgen vermeiden will, tut gut daran, jetzt aktiv zu werden. Auswege bieten z. B. die Umwandlung, die Übertragung von Vermögenswerten auf eine GmbH oder der Austausch von Gesellschaftern. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Sprechen Sie uns dazu gerne an.

Auswirkungen des Brexits auf das Steuerrecht

Aus steuerlicher Sicht werden die wohl bedeutendsten Konsequenzen für deutsche Unternehmen durch den Wegfall der EU-Richtlinien in den folgenden Bereichen erfolgen:

  • Umsatzsteuer(Mehrwertsteuersystemrichtlinie)
  • Ertragsteuer(Mutter-Tochter-Richtlinie)
  • Umstrukturierungen(Fusionsrichtlinie)
  • Zins- und Lizenzzahlungen(Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie)

Hinsichtlich der unternehmerischen Warenlieferungen von Deutschland in das Vereinigte Königreich wird es keine umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen mehr geben. Allerdings können die Lieferungen immerhin als Ausfuhrlieferungen mit entsprechenden Nachweispflichten von der Besteuerung befreit werden. Dementsprechend werden auch die Lieferungen aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland nicht mehr als innergemeinschaftliche Erwerbe betrachtet werden und unterliegen künftig der deutschen Einfuhrumsatzsteuer. 

Die Regelungen zum innergemeinschaftlichen Verbringen werden auch nicht mehr anwendbar sein, was seinerseits zu neuen Registrierungspflichten führen kann. Da die Vorschriften bezüglich des Vorsteuervergütungsverfahrens auch gegenüber Drittstaaten bzw. entsprechend dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit gelten werden, hat auch dies zur Folge, dass die Änderungen im Bereich Umsatzsteuer in der Praxis hauptsächlich eine Anpassung hinsichtlich der möglichen Registrierungs- und Erklärungspflichten erfordern werden.

Die in der Mutter-Tochter-Richtlinie geregelte Entlastung von Kapitalertragssteuern und ähnlichen Quellensteuern auf Dividenden und andere Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Unternehmen innerhalb der EU wird nach dem Brexit nicht mehr anwendbar sein. Bei Ausschüttungen sowohl einer deutschen Tochtergesellschaft ins Vereinigte Königreich als auch im Fall der deutschen Tochtergesellschaft an eine britische Muttergesellschaft greifen die Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich ein. Eine komplette Freistellung ist allerdings nicht mehr möglich. Der Quellensteuersatz für unmittelbare Beteiligungen von mindestens 10 % beträgt gemäß dem DBA-UK 5 % des Dividendenbetrags. 

Nach dem Brexit können auch Umstrukturierungen wie z. B. Fusionen und Abspaltungen von britischen und deutschen Unternehmen wegen des Wegfalles der Fusionsrichtlinie nicht mehr steuerneutral durchgeführt werden. Die Vorschriften gelten nämlich lediglich für Beteiligte innerhalb der EU bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Das sogenannte Brexit-Steuerbegleitgesetz soll Bestandsschutz nur für schon vor dem Austritt durchgeführte Umwandlungen bieten, die sonst rückwirkend besteuert werden könnten.

Bei der Besteuerung der Zins- und Lizenzzahlungen wird es aus deutscher Sicht bei den meisten Fällen keine Veränderungen geben, denn nach den Regelungen des DBA-UK sind die Zahlungen auch künftig in dem Staat des Schuldners von der Besteuerung befreit. Im Einzelfall sollte jedoch immer geprüft werden, ob doch eine Steuerpflicht besteht - insbesondere bei sogenannten Dreiecksfällen mit britischer Muttergesellschaft und zwei Schwester-Gesellschaften in EU-Ländern. 

Neben den wegfallenden Richtlinien werden nach dem Brexit noch die national geregelten Steuererleichterungen hinsichtlich der Überführung von Wirtschaftsgütern ins EU-Ausland und Wegzugsbesteuerung innerhalb der EU bzw. des EWR sowie einige Regelungen zu den Erbschaftsteuern auch nicht mehr anwendbar sein. Bei inländischen Anteilseignern mit Einkünften aus einer britischen Gesellschaft sollte darüber hinaus noch geprüft werden, ob es ggf. Probleme mit den Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung geben könnte. Um aber tatsächlich herausfinden zu können, welche Auswirkungen diese Änderungen für einzelne Unternehmen haben und ob es noch etwas gibt, worauf steuerlich zu achten ist, ist eine entsprechende Beratung zu empfehlen. 

Schlussbemerkung

Solange das Vereinigte Königreich an einem Brexit festhält, müssen nicht nur die Briten, sondern auch die europäischen Nachbarländer ihre Rechtsordnungen darauf einstellen. Der „Deal“ regelt nur einige Folgen (insbesondere im Bereich des Zollrechts) und ist ein Politikum ersten Ranges, da er die Kernfrage, in welchem Umfang das Land noch an die EU gebunden bleibt, berührt. Geradezu im Verborgenen spielen sich die sonstigen Folgen des Brexits ab. Die „Rolle rückwärts“, die mit dem Great Repeal Bill gemacht wird, wurde von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Sie zeigt, wie sehr man sich auf Fachebene im Vereinigten Königreich bewusst ist, dass die Verflechtung mit der EU nicht über Nacht gelöst werden kann. 

Aber wie sich die Briten auch entscheiden – Brexit or No Brexit – es ist zu wünschen, dass das Land und seine Bevölkerung seinen inneren Frieden wieder finden. Ohne diesen werden die „Zombies“ die Oberhand gewinnen – man schaue sich das Musikvideo der „Cranberries“ aus dem Jahre 1994 als Mahnung dazu an!