Das ESUG erleichtert die Eigenverwaltung und nutzt damit die Kenntnisse des Schuldners zum Vorteil der Gläubiger
Zum März 2012 treten wesentliche Teile des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) in Kraft. Kernidee des Gesetzes und der damit verbundenen Änderung der Insolvenzordnung ist es, überlebensfähigen Unternehmen stärker als bisher eine echte Chance zur Sanierung zu bieten. Nachdem wir in der letzten Ausgabe von bdp aktuell (Ausgabe 81 Januar 2012) das Schutzschirmverfahren vorgestellt haben, erläutern wir nun die erleichterten Möglichkeiten zur Eigenverwaltung.
Die Eigenverwaltung
Auch schon vor dem Inkrafttreten des ESUG sieht die Insolvenzordnung die Möglichkeit vor, dem Schuldner selbst das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse zu belassen, damit dieser das Insolvenzverfahren in der sogenannten Eigenverwaltung durchführen kann.
Diese Möglichkeit der Eigenverwaltung, die sich bei Restrukturierungen innerhalb der Insolvenz eröffnet, soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch das ESUG einem breiteren Publikum, d. h. mehr Insolvenzschuldnern, angeboten werden.
Der Grundgedanke, der für eine Eigenverwaltung spricht, ist recht simpel: Die besondere Kenntnis des Schuldners bezüglich seines Geschäfts, d. h. letztlich der Insolvenzmasse soll den Gläubigern zugutekommen. Für sie könnte sich eine Fremdverwaltung durch einen mit dem Geschäft bzw. der Insolvenzmasse nicht vertrauten Dritten (vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter) u. U. nachteilig auswirken.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen zur Eigenverwaltung. Häufig heißt es, es würde dann „der Bock zum Gärtner gemacht“ (abgeleitet von dem Sprichwort: „vom Ziegenbock, der keinen guten Gärtner abgibt“). Denn die Person, die den Eintritt der Insolvenz nicht hat verhindern können, wird in aller Regel nicht dazu geeignet sein, die Insolvenzmasse optimal zu verwerten und im Insolvenzverfahren die Interessen der Gläubiger über eigene Interessen zu stellen.
Diese kritischen Stimmen übersehen aber Folgendes: Es muss bei den Schuldnern meist zwischen handelnden natürlichen Personen und juristischen Personen (mit ihren dann austauschbaren Organen wie Geschäftsführer und Vorstände) differenziert werden.
Eigenverwaltung heißt nicht, dass zwingend der alte Geschäftsführer die Eigenverwaltung betreibt, sondern nur, dass der Schuldner (bei juristischen Personen eben die Gesellschaft) selbst die Verwaltung betreibt. Demnach kann im Rahmen der Eigenverwaltung ein in Restrukturierungen erfahrener (neuer) Geschäftsführer eingesetzt werden. Auch ergeben sich aus den gesammelten Erfahrungen mit dem Chapter 11 des US Bankcruptcy Code, dass eine derartige Stellung des Schuldners gerade bei juristischen Personen für alle Beteiligten von Vorteil sein kann (vgl. aus jüngerer Zeit die GM-Insolvenz in den USA).
Gegenwärtige Relevanz der Eigenverwaltung
Bislang spielt die Eigenverwaltung in der Insolvenzpraxis eine eher untergeordnete Rolle. In der Begründung zum ESUG heißt es sinngemäß, dass die Insolvenzgerichte in Bezug auf die Eigenverwaltung häufig sehr zurückhaltend entschieden haben. In der Öffentlichkeit wurden aber große Verfahren wahrgenommen, die durch Eigenverwaltung geführt worden sind. Hierbei sind folgende (größere) Verfahren zu nennen: „Babcock Borsig“, „Ihr Platz“ und die „Kirch-Gruppe“.
Diese Zurückhaltung der Gerichte, Eigenverwaltung anzuordnen, korrespondiert mit der der Antragsteller, schon bei drohender und nicht erst bei manifester Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Das in Ausgabe 81 erläuterte Schutzschirmverfahren ist nur bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung möglich.
Zielsetzung der Eigenverwaltung
Das ESUG hat sich u. a. die „Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung“ auf die Fahnen geschrieben. Gegenüber der Regelinsolvenz werden folgende Vorteile benannt:
- Das unternehmensspezifische Wissen, das an die Person des Insolvenzschuldners gebunden ist, bleibt im Falle der Eigenverwaltung dem Schuldner (dem Unternehmen) voll erhalten. Die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung können besser genutzt werden. Der Insolvenzverwalter hat den Nachteil, sich einarbeiten zu müssen.
- Personengebundene Konzessionen und Genehmigungen bleiben weiter voll nutzbar.
- Im Eigenverwaltungsverfahren ergeben sich einige Kostenvorteile aufgrund niedrigerer Aufwendungen für den Sachwalter. Dies liegt an der geringeren Vergütung des Sachwalters und dem Wegfall der Verwertungspauschalen im Rahmen der Eigenverwaltung.
- Aufgrund erhobener statistischer Vergangenheitswerte ergibt sich das Bild, dass bei Eigenverwaltungsverfahren, in der Regel durch die Schuldner, Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens tendenziell früher eingereicht werden. Die Eigenverwaltung bietet einen erheblichen Anreiz für den Schuldner, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtzeitig zu stellen, weil er nicht damit rechnen muss, aus der Geschäftsführung verdrängt zu werden.
- Durch eine Eigenverwaltung wird die Geschäftsbeziehung der Geschäftspartner des Schuldners in der Regel weit weniger belastet. Zum Teil nehmen die Geschäftspartner von einer Insolvenz sogar nichts weiter wahr.
Einsatzkonstellationen der Eigenverwaltung
Die Eigenverwaltung kann in der sogenannten Rechtsträger erhaltenden Restrukturierung (so im Planverfahren), in der übertragenden Sanierung oder in der reinen Zerschlagung (Einzelverwertung) zur Anwendung kommen.
Übertragende Sanierung
Die übertragende Sanierung kann sowohl in einem Regelinsolvenzverfahren als auch im Rahmen der Eigenverwaltung durchgeführt werden. Bei der übertragenden Sanierung erfolgt die Übertragung eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteiles von dem insolventen Träger auf einen anderen bereits bestehenden Rechtsträger.
Der Unterschied zur Eigenverwaltung liegt darin, dass eine fortführungsfähige Sachgesamtheit als (Teil-)Unternehmen von der juristischen Person des Insolvenzschuldners als Unternehmensträger getrennt wird. Sämtliche Altverbindlichkeiten verbleiben bei dem insolventen Unternehmensträger, der liquidiert wird. Begrifflich ist zu beachten, dass letztlich der Insolvenzschuldner gerade nicht saniert wird. Die Altgläubiger profitieren von der übertragenden Sanierung nur in dem geringen Maße, in dem sich ihre Quote durch den erzielten Erlös für die veräußerte überlebensfähige Unternehmenseinheit erhöht. Bezogen auf den Insolvenzschuldner ist die übertragende Sanierung letztlich nur eine Liquidationsmaßnahme zur Veräußerung von Betriebsmitteln mit dem Ziel, einen verteilungsfähigen Erlös zu generieren und zugleich (regelmäßig unter anderem Regime und immer mit einem anderen Rechtsträger) den Betrieb fortgeführt zu sehen. Für die Gläubiger des Insolvenzschuldners hat die übertragende Sanierung den Nachteil, dass sie von künftigen Erlösen des neuen Unternehmens nicht mehr profitieren können. Das neu am Markt agierende Unternehmen ist jeglicher Einflussnahme durch die Altgläubiger entzogen.
Insolvenzplan
Das Insolvenzplanverfahren weicht von den Liquidationsregeln der InsO ab und soll eine bessere Befriedigung der Gläubiger erreichen. Das Insolvenzplanverfahren ermöglicht den Gläubigern einer insolventen Gesellschaft, durch Mehrheitsentscheidung eine konkrete Gestaltung der Abwicklung der Insolvenz verbindlich festzulegen. Das Insolvenzplanverfahren bildet den Rahmen zur Entscheidung der Gläubiger, wie die beste Haftungsverwirklichung aussieht: durch Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, durch eine übertragende Sanierung, in der teilweisen Einzelverwertung oder auch in der Liquidationssuche.
Anders als die Eigenverwaltung, die eine Modifikation des Regelinsolvenzverfahrens darstellt, ist das Insolvenzplanverfahren ein besonderes Verfahren im Rahmen dieses Regelinsolvenzverfahrens.
Das Planverfahren und die Eigenverwaltung sind miteinander kombinierbar. Insbesondere bei komplizierten Konzernstrukturen bietet sich die Kombination aus Eigenverwaltung mit einem Insolvenzplan für das herrschende Unternehmen bei gleichzeitiger Eigenverwaltung und koordinierten Insolvenzplänen für Tochter- und Enkelgesellschaften an. Ursprünglich vorhandene Leitungsstrukturen können so gewahrt werden. Dadurch wird überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, komplexe Projekte, beispielsweise im Anlagenbau, mit mehreren beteiligten (insolventen) Gesellschaften weiterzuführen.
Anordnungsvoraussetzungen und Änderungen bei der Eigenverwaltung gemäß § 270 ff. InsO
§ 270 ff. InsO regeln die besonderen Anordnungsvoraussetzungen der Eigenverwaltung, die neben den allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen (Insolvenzgrund und ausreichende Masse) vorliegen müssen.
Durch das ESUG erfährt § 270 Abs. 2 InsO eine weitreichende Änderung. Die Anordnung der Eigenverwaltung bedurfte bisher (im Falle des Fremdantrages) der Zustimmung desjenigen Gläubigers, der den Antrag stellte. Zukünftig heißt es dort nur noch, „dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt“. D. h. nur noch, wenn konkrete Nachteilszufügungen der Gläubiger bekannt sind, darf der Antrag des Schuldners abgelehnt werden. Bei Antragstellung sollte daher der Schuldner, wenn er eine Eigenverwaltung erstrebt, nur die Vorteile für die Gläubiger darlegen. Im Zweifel ist dem Antrag des Schuldners stattzugeben. Im Falle der Antragstellung auf Eigenverwaltung wird diese dann, anders als bisher, zum Regelfall erhoben.
Nach § 270 Abs. 3 InsO ist vor der Entscheidung der vorläufige Gläubigerausschuss zu hören, wenn dies nicht offensichtlich zu einer Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Es wird sich in der praktischen Umsetzung zeigen, wie die Insolvenzgerichte diese Regelung mit Leben füllen. U.U. werden die Gerichte unter Berufung auf den letzten Halbsatz versuchen, den Mühen des Einsetzens eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu entgehen und den bindenden Anordnungsanweisungen aus dem Weg zu gehen.
Nach der bisherigen Rechtslage war die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters auch bei einer beantragten Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren zulässig. Nach § 270a Abs. 1 InsO (neu) soll im Falle der Antragstellung auf Eigenverwaltung in der Regel davon abgesehen werden, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder alle Verfügungen nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu tätigen. Stattdessen soll ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden.
Durch diesen vorläufigen Sachwalter soll eine „geräuschlose“ Durchführung des Insolvenzverfahrens ermöglicht werden, was im Regelverfahren meist nicht möglich ist. Das Gericht muss Vorschläge des Schuldners für den Sachwalter berücksichtigen. Diese Vorschläge sind aber nicht für das Gericht bindend. Im Falle des Eigenantrages bei drohender Zahlungsunfähigkeit ist der Bindungsgrad des Gerichts aber höher (§ 270b Abs. 2 S. 2 InsO (neu)). In allerletzter Minute kam noch ein weiterer Punkt in das Gesetz (§ 270b Abs. 2 S. 2 InsO (neu)): Der eigenverwaltende Schuldner kann zukünftig auch Masseverbindlichkeiten begründen, was ihn faktisch in die Stellung eines starken vorläufigen Verwalters einrücken lässt und die Betriebsfortführung ganz erheblich erleichtert.
Auch kann der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 270a Abs. 2 InsO (neu) zurücknehmen, wenn das Gericht ihn darauf hinweist, dass es die Voraussetzungen einer Eigenverwaltung für nicht gegeben sieht.
Der Schuldner kann daher, wenn sich eine Krise im Unternehmen anbahnt, fortan im Vorfeld (vor der Antragstellung) einfacher einen erfahrenen Sanierungsberater in das Unternehmen hereinholen. Durch die Beantragung einer Eigenverwaltung zusammen mit dem Sanierungsspezialisten kann er dann als „Eigenverwalter“ die Weichen stellen, um rechtzeitig die erfolgreiche Sanierung des Unternehmens auf dem Weg zu bringen.
Ausblick
In der kommenden Ausgabe von bdp aktuell werden wir die neue Möglichkeit des Debt-to-Equity-Swap des ESUG erläutern und einen Ausblick auf die zweite Stufe der Insolvenzreform wagen.