Dr. Peter Gramsch zu den Gestaltungsmöglichkeiten, die das ESUG bei Eigenanträgen auf Insolvenzeröffnung ermöglicht

Mit dem 01. März 2012 ist eine Zeitenwende im deutschen Insolvenzrecht und bei der Restrukturierung von Krisenunternehmen eingetreten: Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat die Machtbalance zwischen den Beteiligten an einem Insolvenzverfahren deutlich verschoben. Es stärkt die Einflussnahme der beteiligten Schuldner und Gläubiger auf das Insolvenzverfahren, insbesondere auch bei der Verwalterauswahl. Es erhöht aber zugleich die inhaltlichen Anforderungen an einen zulässigen Eröffnungsantrag erheblich (InsO § 13 Abs. 1).

Das bedeutet, dass einerseits weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten genutzt werden können, dass aber andererseits die Gefahr, einen unzulässigen Antrag einzureichen und wertvolle Zeit zu verlieren, gewachsen ist. Verfahrensbeteiligte müssen exakt wissen, welchen Einfluss sie haben, um ihn zu nutzen. Pointiert formuliert: Das ESUG ist nichts für Amateure! Wenn man weiß, was man tut, dann kann man auch eine Menge tun. Dies soll hier gezeigt werden.

Wenn man die Situation vor dem ESUG rekapituliert, wird man sich erinnern, dass seinerzeit der Einfluss von Schuldner und Gläubigern verschwindend gering, aber die Stellung der Insolvenzgerichte sehr mächtig war. Eine Eigenverwaltung fand kaum statt, obwohl dies auch vor dem ESUG schon möglich war. Auf die Auswahl des Insolvenzverwalters – die „Schicksalsfrage der Insolvenz“ - konnte man praktisch kaum Einfluss ausüben. Eine Planungssicherheit für Verfahren war nahezu nicht vorhanden. Wenn der Insolvenzrichter nicht wollte, waren pragmatische Deals ausgeschlossen. Dann blieb nur zu prüfen, ob man nicht durch die Verlegung des sogenannten Center of main Interest (COMI) die Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründen konnte, von dem man glaubte, dass der Wunschkandidat dort besser „gelitten“ war. Das hat sich jetzt verändert: Den Verwalter bzw. Sachwalter bestellt zwar weiterhin das Gericht, aber der Einfluss auf die Auswahlentscheidung ist größer geworden.

Mehr Mühe für den Antrag

Eigentlich ist die Situation einfach: Der Gläubiger oder Schuldner stellt einen schriftlichen Insolvenzantrag, in dem die Antragsgründe benannt sind. Das Gericht bestellt einen Insolvenzverwalter, und dieser führt dann das Verfahren durch. Weil außerdem ja noch der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, mithin das Gericht nach § 5 Abs. 1 InsO „von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln (hat), die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind“, könnte auch heute ein Insolvenzantrag knapp wie ehedem sein. Wer aber etwa erreichen will, zum Beispiel in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan umsetzen oder eine bestimmte Verwalterpersönlichkeit durchsetzen, der muss sich genauer mit dem rechtlichen Rahmen und den lokalen Usancen auskennen – und sich etwas mehr Mühe mit dem Antrag geben.

Im Kern ist ein (Eigen-)antrag dann zulässig, wenn sowohl das Gericht örtlich zuständig ist als auch ein Eröffnungsgrund vorliegt, dessen wesentliche Merkmale im Antrag dargelegt werden müssen.

Zuständigkeitsfragen klären

Örtlich zuständig ist nach § 3 InsO das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, es sei denn, dass der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort liegt. Außerdem gilt das Prioritätsprinzip, d. h., der erste Antrag schließt die übrigen aus, wenn mehrere Gerichte unter Zuständigkeitspunkten infrage kommen. Damit eröffnen sich Gestaltungsspielräume, die man nutzen kann, wenn einem bestimmte örtliche Begebenheiten ge- oder missfallen, und zwar durch Verlegung des Mittelpunktes der selbständigen Tätigkeit (COMI). Doch Vorsicht: Wer die Verlegung des COMI erwägt, muss diese Verlegung auch tatsächlich realisieren.

Antragsgestaltung nach eigenem Bedürfnissen

Neu hingegen sind die Sätze 2 bis 7 in Abs. 1 von § 13 der Insolvenzordnung. Dort wird definiert, was der Eröffnungsantrag enthalten muss. Diese Definition ist zwar inhaltlich sehr detailliert. Sie schreibt aber keine bestimmte Form vor, sodass der Antrag nach eigenen Bedürfnissen gestaltet werden kann.

So schreibt das Gesetz die Vorlage eines Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses vor. Was sich wie eine Tautologie anhört, ist es indes nicht; die Formulierung drückt den Willen des Gesetzgebers aus: Es reicht nicht aus, nur bestimmte Forderungsarten summarisch aufzulisten. Es müssen zudem die Gläubiger konkret genannt werden, damit das Gericht eine Vorstellung davon bekommt, wie sich die Gläubigerschaft konkret zusammensetzt.

Wer seinen Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt hat, muss zudem die höchsten Forderungen, die höchsten gesicherten Forderungen sowie die Forderungen von Finanzverwaltung, Sozialversicherungsträger und aus betrieblicher Altersversorgung „besonders kenntlich“ machen. Um dem Genüge zu tun, würde die Verwendung eines Textmarkers in dem Gläubiger- und Forderungsverzeichnis ausreichen. Geschickter ist es dagegen, im schriftlichen Antrag selbst diese ausdrücklich zu bezeichnen, sodass das Gericht im schriftlichen Antrag „abhaken“ kann, ob alle tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Nachfragen des Richters vermeiden

Ein Antrag ist dann gelungen, wenn er bei Gericht keine Nachfragen provoziert und damit schnell beschieden wird. Also sollte man ihn so eingängig und plausibel wie möglich gestalten. Konkret bedeutet das beispielsweise: Wenn es keine Forderungen der Sozialversicherungsträger gibt, dann sollte man dies auch explizit so benennen. Niemand will Zeit verlieren, weil der Richter nachfragt, ob man da nicht etwas vergessen habe.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass der Gesetzgeber schlussendlich eine Erklärung verlangt, dass die Angaben „richtig und vollständig“ sind. Das versteht sich eigentlich von selbst; nur zwingt einen der Gesetzgeber dazu, es auch ausdrücklich zu erklären. Vergisst man dies, provoziert dieser Fehler Nachfragen des Gerichts. Das kostet Zeit, innerhalb derer der Antrag an sich schon beschieden sein und ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter arbeiten könnte. Im schlimmsten Fall ist das Zeit, die das betroffene Unternehmen schlicht nicht hat.

Richtige Formulierungen sind auch relevant für die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Bei Überschreiten von zwei der folgenden Kennziffern für Bilanzsumme (4,84 Mio.), Umsatzerlöse (9,68 Mio.) oder Belegschaftsgröße (50) muss das Gericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen. Denkbar ist aber auch, ohne dass vorgenannte Kriterien erfüllt sind, einen solchen einzusetzen, wenn im Antrag gewünscht.

Vorschläge für die Besetzung des  den Gläubigerausschusses

Zweckmäßigerweise sollte man dabei dem Gericht konkrete Kandidaten, die sich als Gläubigerausschussmitglied eignen, vorschlagen. Neben der Benennung dieser Personen sollte auch dargelegt werden, dass und warum sie sich für den Gläubigerausschuss eignen; denn einerseits kann Mitglied eines Gläubigerausschusses nur ein (späterer) Beteiligter des Verfahrens sein und andererseits soll der Gläubigerausschuss die Gesamtheit der Gläubiger repräsentieren.

Dies gilt es, dem Gericht im Antrag darzulegen. Beifügen sollte man Einverständniserklärungen der designierten Kandidaten und sollte auch im Vorwege mit ihnen klären, ob sie auch tatsächlich verfügbar und nicht z. B. im Urlaub sind, wenn der Antrag gestellt wird. Wer also die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses beeinflussen will, muss zunächst geeignete Kandidaten identifizieren und überzeugen. Dies ist bspw. im Bankensektor schwierig, da zumindest Vertreter der Großbanken tendenziell eher zurückhaltend sind.

Formulierungshilfen

Sind geeignete Kandidaten gefunden, stehen Sie ihnen konsequent und hilfreich bei, indem Sie ihnen einen Vorschlag als Word-Datei zukommen lassen, der sich nicht auf die Bereitschaft zur Ausschussarbeit beschränkt, sondern sich auch wohlwollend zur beabsichtigten Vorgehensweise des Antragstellers (bspw. Eigenverwaltung) positioniert.

Was tun, wenn das Gericht ein Formular verlangt?

Wenn man nun viel Mühe darauf verwandt hat, einen schlüssigen und plausiblen Antrag zu formulieren, was macht man dann, wenn das Gericht verlangt, dass man ein spezielles Formular verwenden soll? Die Antwort ist klar: Man verwendet es, auch wenn es dafür keinerlei Rechtsgrundlage gibt! Denn bisher gilt dies nur für das Verbraucherinsolvenzverfahren und nicht für sonstige Verfahrensarten. Wer nicht Zeit und Geld in aussichtsreichen, aber langwierigen Prinzipienstreitereien mit dem Gericht vergeuden will, sollte das lokale Formular ausfüllen, dies aber nicht allein einreichen, sondern einfach zusätzlich dem eigenen Antrag beilegen. Denn was nützt eine erfolgreiche sofortige Beschwerde gegen einen zu Unrecht als unzulässig abgewiesenen Antrag, wenn Monate verstrichen sind.

Lokalkolorit analysieren

Generell gilt: Bereiten Sie Ihren Antrag vor, indem Sie klären, welches Gericht zuständig ist. Recherchieren Sie dann die dortigen Besonderheiten und analysieren Sie, welche Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter regelmäßig bestellt werden (siehe InDatReport). Hieraus ergeben sich Rückschlüsse, ob ihr Wunschkandidat einfach oder schwer durchsetzbar ist. Klären Sie bei Zweifeln dies vorher telefonisch mit dem jeweiligen Insolvenzrichter.

Kontakt zur Geschäftsstelle

Versuchen Sie auch, einen möglichst guten Draht zur Geschäftsstelle aufzubauen. Dies hilft Ihnen im Antrags- und Verfahrensprozedere ungemein.

Falls Ihnen das Lokalkolorit beim zuständigen Gericht nicht behagt und Sie dort nicht hinwollen, versuchen Sie den COMI zu verlegen, um eine andere Zuständigkeit zu begründen. Aber Vorsicht: Das muss dann auch tatsächlich erfolgen, sonst erklären Sie etwas Falsches in Ihrem Antrag und riskieren die Zurückweisung des Antrags. Versuchen Sie dann auch herauszubekommen, welcher Richter für Sie zuständig ist. Wenn sich dies aus dem Geschäftsverteilungsplan nicht eindeutig ergibt, versuchen Sie es persönlich. Freundliche Anrufe führen hier oft sehr weit.

Nerven Sie den Richter nicht!

Kündigen Sie schließlich bei Gericht Ihren Antrag an. Nutzen Sie Ihre Kontakte zur Geschäftsstelle. Dort geben Sie Ihren Antrag auch ab. Vermeiden Sie im Grundsatz, den Antrag dem Richter selbst in die Hand zu drücken und womöglich noch mit ihm sofort darüber zu diskutieren. Geben Sie ihn direkt in der Geschäftsstelle ab und warten dann ab. Wenn Ihre Kontakte zur Geschäftsstelle gut genug sind, werden Sie informell über den Gang der Dinge informiert sein. Das ermöglicht Ihnen, die Wartezeit nach Antragstellung etwas entspannter zu gestalten.

Keine Regel ohne Ausnahme

Wenn Ihre Analyse ergeben hat, dass der Richter sich gerne einen persönlichen Eindruck vom Antragsteller machen möchte, dann ziehen Sie Ihren besten Anzug an und geben den Antrag persönlich ab! Es gilt immer: Beachten Sie das Lokalkolorit!

Dr. Peter Gramsch ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und Partner bei Brock Müller Ziegenbein in Kiel.