Warum Sanierung kein Selbstzweck sein darf und das Verharren im Status quo unmoralisch ist

Wer beruflich an der Sanierung von Unternehmen mitwirkt, der weiß nur zu gut, dass er es nicht nur mit betriebswirtschaftlichen Zahlen zu tun hat. Er wird tagtäglich konfrontiert mit menschlichen Schicksalen, sei es das des entlassenen Mitarbeiters oder des Unternehmensgründers, der sein Lebenswerk zu verlieren droht. Es stellen sich deshalb Fragen nach der ethischen Beurteilung des eigenen Handelns von ganz allein.

Dass normative Beurteilungen auch von außen an einen herangetragen werden, zeigt sich, wenn einem neue Bekanntschaften mit unterschiedlichen emotionalen Haltungen begegnen. Die reichen von Mitleid („Jeden Tag Krise, ist das nicht schlimm?“) bis hin zu offener Ablehnung („Aasgeier bereichern sich an Unternehmen, denen es schlecht geht!“). Dies ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir uns in einem Umfeld bewegen, wo über richtige Handlungsnormen gestritten wird.

Streit über angemessenes Verhalten in der Wirtschaft

Auch ein Blick in die Tagespresse zeigt schnell gesellschaftlichen Diskussionsbedarf von Vorstandsbezügen über Corporate Governance bis zur sozialen Gerechtigkeit. Über angemessenes Verhalten in der Wirtschaft wird gestritten, speziell im Umfeld von Krisenunternehmen. Schlecker war hier nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe.

Wenn dabei allgemein ein Werteverlust beklagt wird, dann liegt dies daran, dass diese Diskussion stark von Personen dominiert wird, die ich Moralisierer nennen möchte. Moralisierer eignen sich Themen an, für die sie selbst keine praktische Lösung anbieten. Aber gleichwohl bewerten und kritisieren sie diejenigen, die dort handeln. Im Endeffekt führt dies dazu, dass jede Veränderung abgelehnt wird und man im Status quo verharrt.

Das ist auch die Situation in fast allen Krisenunternehmen. Schaut man sich die Vorgeschichte der Krise an, dann stellt man fast immer fest, dass keine Bereitschaft zur Veränderung bestanden hat. Es gab kaum Strukturveränderungen, keine Aufgabe unlukrativer Geschäftsfelder, kaum neue Geschäftsideen. Die „schöpferische Zerstörung“ von Schumpeter fand nicht statt.

Wie gehen wir damit um? Fast immer stellen wir fest, dass dann, wenn wir früher involviert worden wären, Restrukturierungen viel einfacher wären. Aber jetzt in der Ergebnis- oder gar schon Liquiditätskrise wird es umso schwieriger, weil nun erst recht die Kräfte der Beharrung, unterstützt von den Moralisierern auf allen Seiten, die Oberhand bekommen: Die Belegschaft will ihren Job behalten, und die Gesellschafter wollen keine Veränderung dessen, was sie aufgebaut haben, und scheitern nun an der Weiterentwicklung.

Festhalten am Staus quo ist Wertevernichtung

Aber ist es moralisch verwerflich, wenn Unternehmen scheitern? Natürlich nicht! Unternehmerische Inkompetenz ist nicht strafbar. Aber sie wird natürlich über kurz oder lang vom Markt bestraft. Es ist eine Frage der Kompetenz, ob Unternehmer in der Lage sind, ihr Unternehmen an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Die Wertevernichtung beginnt mit dem Festhalten am Status quo. Unternehmen, die verharren, müssen auf Dauer den Markt verlassen.

Sanierung darf kein Selbstzweck sein, auch wenn noch so viel für den Erhalt von Arbeitsplätzen oder regionalen Strukturen spricht. Es führt aber zu nichts, wenn man versucht, Unternehmen, die nicht lebensfähig sind, zu erhalten, indem man den Wettbewerb außer Kraft setzt. Die Kollateralschäden beim Wettbewerb oder den Zulieferern sind ja immens.

Wer selbst noch in der manifesten Krise alle Veränderungen und insbesondere auch Personalanpassungen als unmoralisch denunziert, verkennt, dass es besser gewesen wäre, diese Maßnahmen schon früher zu ergreifen. Hierfür gibt es ja einen rechtlich-sozialen Rahmen, der das Vorgehen regelt und der sich bewährt hat.

Sanierer können sich an normativen Vorgaben orientieren

Die Herstellung einer dauerhaften Geschäftsfähigkeit ist nicht unmoralisch. Ist es nicht eher unmoralisch, wenn Unternehmen lange Zeit massiv Geld verlieren und von der Substanz leben, bis es komplett zu spät ist? Und dann ist die Empörung groß über die schlimmen menschlichen Schicksale! Auch hierfür ist Schlecker ein Exempel.

Nach meinen Erfahrungen kann man sein Handeln als Sanierungsberater an vier Begriffen orientieren: Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit, Verlässlichkeit und Menschlichkeit.

Ehrlichkeit ist wichtig, um die Situation zu beschreiben, wie sie ist. Dass der Glaube, es könne ungefähr so weiter gehen wie bisher, falsch ist. Dass es keine Tricks oder Kniffe gibt. Dazu gehört eine Kommunikationsfähigkeit nicht zuletzt nach innen, denn die Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens hängt auch von der Motivation und der Veränderungsfähigkeit der Belegschaft ab.

Verantwortlichkeit heißt, dass der Berater nicht nur Konzepte entwirft, sondern diese in Organverantwortlichkeit auch selbst umsetzen sollte. Das eigene Verhalten ist anders, wenn man in der Haftung steht und eigene Mitarbeiter hat, und man bewegt auch sehr viel mehr.

Verlässlichkeit ist etwas, an dem es in Krisenunternehmen meist mangelt. Man muss aber tun, was man sagt und dadurch Vertrauen wieder herstellen.

Menschlichkeit bedarf eigentlich nicht der Erwähnung. Selbstverständlich muss man ein Gespür und ein offenes Ohr für die Belegschaft und das Management haben und sich redlich verhalten.

Wer also ehrlich ist, teilnimmt an der Neuausrichtung, im Umgang verlässlich ist und sich menschlich verhält, benötigt eigentlich keine Grundsätze einer ordnungsgemäßen Sanierung. Aber dennoch wäre die Entwicklung eines kodifizierten Wertesystems für Sanierungsberater sinnvoll, damit man sich auf ein Normengerüst stützen kann, wenn man von den Moralisierern wieder nur als Jobkiller wahrgenommen wird.

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