Ist jemand jetzt nicht mehr zahlungsfähig, war es aber noch zum Jahreswechsel 2019/20, von dem wird angenommen, dass er nur ein vorübergehendes Opfer der COVID-19-Pandemie ist.

Wie schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 entschärft auch jetzt in der Coronakrise der Gesetzgeber die Gründe für einen zwingenden Insolvenzantrag massiv. Wurde seinerzeit der Insolvenzantragsgrund Überschuldung ausgesetzt so wurde nun mit dem zweiten Insolvenzantragsgrund der Zahlungsunfähigkeit verfahren: Ist jemand jetzt nicht mehr zahlungsfähig, war es aber noch zum Jahreswechsel 2019/20, von dem wird angenommen, dass er nur ein vorübergehendes Opfer der COVID-19-Pandemie ist und zukünftig wieder zahlungsfähig wird. Bis Ende September 2020 muss dann trotz Zahlungsunfähigkeit kein Insolvenzantrag gestellt werden.

Die letzte große Krise in der Wirtschaft ist noch keine 12 Jahre her. Sowohl damals in der Wirtschafts- und Finanzkrise, als auch heute in Zeiten der Coronakrise, würde die Anwendung des üblichen Instrumentariums der deutschen Insolvenzordnung dazu führen, dass große Teile der Wirtschaftsbetriebe binnen kürzester Zeit ausgeschaltet wären und zwingend einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen müssten. Damit aber wäre die Weiterführung des operativen Betriebs der jeweiligen Unternehmen erheblich beeinträchtigt. 

Eine Insolvenzantragswelle auszulösen ist weder politisch noch wirtschaftlich zielführend 

Bei plötzlich eintretenden Krisen vorschnell eine Insolvenzantragswelle in Gang zu setzen, die langfristig die Wirtschaft beeinträchtigen würde, ist aber weder politisch noch wirtschaftlich zielführend. Aus diesem Grund reagiert der Gesetzgeber, nun schon geübt, sehr schnell, um die sonst so rigiden Regelungen der Insolvenzordnung von einem Tag zum anderen zu modifizieren bzw. auszusetzen. Feststehende gesetzliche Regelungen, die im Normalbetrieb häufig von der Rechtsprechung scharf und strikt angewandt werden, manchmal ohne Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall, werden ausgesetzt, weil sie sich in einer Krise als nicht praxistauglich erweisen. 

In der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 traf es die Überschuldung, die einen Insolvenzantragsgrund darstellt. Bei Anwendung der bis dahin geltenden Regelungen wären nämlich große Teile der deutschen Kreditinstitute von einem Tag zum nächsten insolvenzrechtlich überschuldet gewesen. Die Zahlen in den Büchern der Kreditinstitute stimmten nicht mehr mit den dahinter stehenden Werten überein und mussten berichtigt werden.

Seit 2008 ist die Überschuldung als Insolvenzantragsgrund ausgesetzt

Der Gesetzgeber war im Herbst 2008 also gezwungen, rasche Maßnahmen zur Marktstabilisierung zu treffen. Im Oktober 2008 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, in welchem der Überschuldungsbegriff in § 19 Abs.  2 der Insolvenzordnung (InsO) geändert worden ist. Die Regelungen zur insolvenzrechtlichen Überschuldung wurden in der Wirtschafts- und Finanzkrise unverzüglich entschärft. Der seinerzeit entsprechend geänderte § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ist in dieser Fassung übrigens auch heute noch gültig. Danach liegt eine Überschuldung dann nicht vor, wenn eine positive Fortführungsprognose gegeben werden kann. Nur bei einer negativen Fortführungsprognose muss ein Insolvenzantrag bzw. ein Überschuldungsstatus nach Liquidationswerten erstellt werden. 

Im Ergebnis wurde damit der Insolvenzgrund der Überschuldung ausgesetzt. Der Gesetzgeber hatte dann aber noch am 09. November 2012 beschlossen, die eigentlich nur bis zum 31. Dezember 2013 befristete Regelung zur insolvenzrechtlichen Überschuldung nun unbefristet und auf Dauer beizubehalten. Dauerhaft gilt daher jetzt, dass keine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt, wenn „die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist“. 

In der gegenwärtigen Coronakrise geht es nun um die zweite Komponente des Insolvenzantragsgrundes. Nach § 17 InsO ist ein weiterer und allgemeiner Insolvenzeröffnungsgrund die Zahlungsunfähigkeit. Danach ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des BGH muss er, sehr grob ausgedrückt, 90 % der fälligen Verbindlichkeiten aus der ihm zur Verfügung stehenden Liquidität zahlen können. Kann er dies nicht, ist er nach § 17 InsO zahlungsunfähig und muss einen Insolvenzantrag stellen. So wäre beispielsweise ein Hotelbetrieb, der coronabedingt von einem Tag auf den anderen keine Gäste mehr logieren lassen darf, sofort insolvenzrechtlich zahlungsunfähig: Die fälligen Verbindlichkeiten wie Lieferanten- und Bankenverbindlichkeiten lassen sich bei dem Verbot, Gäste zu beherbergen, nicht bedienen.

Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit bis zum 30. September 2020 ausgesetzt

Der Gesetzgeber musste daher auch hier schnell handeln und erließ schon wenige Tage nach dem staatlich verordneten „Frühjahrsschlaf der Wirtschaft“ am 27. März 2020 das Gesetz mit der Bezeichnung „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)“. 

Durch dieses Gesetz ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit nach § 15a und § 17 der Insolvenzordnung bis zum 30. September 2020 ausgesetzt worden. 

Maßgebend ist der Zahlungsfähigkeitsstatus per 31. Dezember 2019 

Diese Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt aber nicht, 

  • wenn die Insolvenzreife des Unternehmens nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder 
  • wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 

Da ein entsprechender Nachweis (Insolvenzreife keine Folge von Corona

 oder keine Aussicht einer Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit) nur schwer zu führen ist, fügte der Gesetzgeber gleich zwei Vermutungstatbestände ein. Geregelt wurde nämlich gleichzeitig, dass wenn der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war, vermutet werde, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine aktuelle Zahlungsunfähigkeit auch wieder zu beseitigen. 

Maßgebend ist daher der Zahlungsfähigkeitsstatus der betreffenden Unternehmen per 31. Dezember 2019. Wenn ein Unternehmen per 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war, greift die genannte Vermutung. 

Regelung der Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht 

Gleichzeitig regelt das Gesetz die nicht minder komplexen Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die sich im Einzelnen wie folgt gestalten: 

Soweit die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags nach dem Gesetz ausgesetzt ist,

  • gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 des GmbHG (und entsprechender Regelungen im AktG und HGB und GenG), sodass keine (persönlichen) Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer und Vorstände geltend gemacht werden können; 
  • gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum (28. März 2020 bis 31. September 2020) gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend. Dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren Besicherung. Insolvenzanfechtungen insbesondere nach § 135 InsO (ehemaliger Kapitalersatz) sollen also durch die Regelungen ausgeschlossen werden; 
  • sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen; d. h. Anfechtungen nach einer sogenannten Absichtsanfechtung sollen ausgeschlossen werden und 
  • sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; d. h. Anfechtungen wegen inkongruenter Deckung sollen ausgeschlossen werden. 

Letztlich wurde geregelt, dass bei zwischen dem 28. März 2020 und dem 28. Juni 2020 gestellten Fremdinsolvenzanträgen, d. h. Gläubigerinsolvenzanträgen, Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist, dass der Eröffnungsgrund bereits am 01. März 2020 vorlag.

De facto werden damit Insolvenzanträge, die nicht das Schuldnerunternehmen selbst einreicht (sogenannte Fremdinsolvenzanträge) bis zum 28. Juni 2020 nur möglich sein, wenn der Gläubiger gesondert darlegt, dass der Eröffnungsgrund bereits am 01. März 2020 vorlag.

Ob Befristung aufrechterhalten wird, ist fraglich

Ob all diese Regelungen wirklich nur bis zum 30. September 2020 bzw. nur bis zum 28. Juni 2020 ihre Gültigkeit haben werden, ist angesichts der immer noch gültigen Regelungen in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise aus dem Jahr 2008 sehr fraglich und muss abgewartet werden. 

Wenn es aber trotz all der geschilderten Schutzmaßnahmen unausweichlich werden sollte, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden muss, bedeutet dies nicht das Ende des Unternehmens bzw. des Geschäftsbetriebs. Die Insolvenzordnung in der gegenwärtigen Form hält moderne Instrumentarien wie die Insolvenz in Eigenverwaltung oder das Schutzschirmverfahren bereit, die eine Restrukturierung von Unternehmen ermöglicht. Diese Instrumentarien werden wir Ihnen in den kommenden Ausgaben noch einmal näher vorstellen.