Barbara Klein, Hamburger Teamleiterin der bdp Venturis, erläutert das Sanierungsprivileg der Insolvenzordnung

In Webcasts erläutern bdp-Sanierungsexperten aktuelle Sanierungsthemen wie Sanierungsprivileg, Bargeschäfte, Gesellschaftersicherheiten und Kleinbeteiligtenprivileg. Produziert werden diese Online-TV-Sendungen vom „Institut für Unternehmenssanierung und -entwicklung an der privaten SRH Hochschule Heidelberg“ (vgl. Beitrag: Moderne Sanierung). Wir dokumentieren in dieser Ausgabe die Erläuterungen von Barbara Klein zum Sanierungsprivileg der Insolvenzordnung. Die Fragen stellte Institutsleiter Professor Dr. Henning Werner. bdp-Experten werden zukünftig auch im Heidelberger Zertifikatslehrgang „Restrukturierungsberater/-in“ unterrichten.

____Woher kommt das Sanierungsprivileg in der Insolvenzordnung?

Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) wurde die Rechtsfigur des eigenkapitalersetzenden Darlehens im GmbH-Recht aufgegeben und inhaltlich im Insolvenzrecht sowie im Anfechtungsgesetz neu geordnet. Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO treten grundsätzlich alle Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder wirtschaftlich gleichgestellter Leistungen im Rang hinter allen anderen Forderungen zurück. Hiervon ausgenommen sind nunmehr nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen eines Gläubigers, der bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei deren Überschuldung Anteile zum Zwecke der Sanierung erwirbt.

____Beschreiben Sie bitte, was unter dem Sanierungsprivileg zu verstehen ist und wann es zum Tragen kommt.

Bei dem Sanierungsprivileg handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Forderungen aus Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Rechtshandlungen in der Insolvenz als nachrangige Insolvenzforderungen behandelt werden. Das Sanierungsprivileg gilt, wenn im Zeitpunkt der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Anteile des Schuldners erworben werden. Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn Anteile durch die Übernahme eines vorhandenen Anteils eines Altgesellschafters erworben werden oder ein originärer Erwerb neuer Anteile im Wege der Kapitalerhöhung stattfindet. Die Höhe der erworbenen Anteile ist nicht maßgeblich, ebenso wenig, ob durch die Anteilsübernahme der Gesellschaft neues Kapital zufließt. Zwingende Voraussetzung ist jedoch, dass der Anteilserwerb zum Zwecke der Sanierung erfolgt.

____Welche Forderungen sind denn dann in der Insolvenz privilegiert?

Es sind die Forderungen privilegiert, die bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder im Stadium der Überschuldung der Gesellschaft entstehen, unabhängig davon, ob die Leistung vor oder nach dem Anteilserwerb erfolgt ist. Beim Fehlschlagen der Sanierungsbemühungen handelt es sich dann im nachfolgenden Insolvenzverfahren um normale Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Wird ein Darlehen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt, handelt es sich um eine reguläre Masseverbindlichkeit der Gesellschaft, § 55 Abs. 1 InsO.

____Ist die Privilegierung zeitlich begrenzt?

Die Privilegierung hält an bis zur nachhaltigen Sanierung der Gesellschaft,  bis zum Ende der Krise durch erfolgreiche Sanierung. Gerät die Gesellschaft danach jedoch erneut in eine Krise, lebt die Privilegierung nicht wieder auf. In einer früheren Krise gewährte Darlehen sind dann auch nur als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 5 Nr. 1 InsO zu behandeln.

____Welchen Zweck verfolgt das Sanierungsprivileg als Sonderregelung?

Zweck des Sanierungsprivilegs als Sonderregelung ist es, Anreize zu bieten, Gesellschaften Risikokapital zur Verfügung zu stellen und sich an Sanierungen zu beteiligen. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn der in Krisensituationen Sanierungskapital gebende Gesellschafter genau wie die anderen Gesellschafter mit seiner Forderung in einem sich möglicherweise anschließenden Sanierungsverfahren mit seiner Forderung im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktreten müsste und damit faktisch leer ausginge.

____Welche wesentlichen Unterschiede gibt es zur früheren Rechtslage?

Durch den Wegfall der Rechtsfigur des eigenkapitalersetzenden Darlehens im GmbH-Recht entfallen Überschneidungen zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Das früher bestehende Merkmal der „Krise der Gesellschaft“ gibt es nicht mehr. Jetzt sind alle Gesellschafterdarlehen im Insolvenzfall nachrangig, was für die Praxis eine erhebliche Vereinfachung bedeutet. Darüber hinaus gilt diese Regelung nun auch nicht mehr nur ausdrücklich für die GmbH, sondern rechtsformübergreifend für alle Gesellschaftsformen ohne eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter.

____Wirken sich diese Unterschiede auch in der Praxis aus?

Nunmehr sind alle Forderungen aus Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechenden Leistungen nachrangig. Nicht gesetzlich geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen eine solche Entsprechung vorliegt. Allerdings ist restriktiv davon auszugehen, dass bestehende Gesellschafterleistungen im Fall der Insolvenz nachrangig sein werden. Nur im Rahmen der zuvor beschriebenen Ausnahme des Anteilserwerbs und der Zurverfügungstellung von Sanierungskapital entfällt der Nachrang von Gesellschafterforderungen. Ungeachtet der Neuregelungen wird das neue Recht jedoch in einer Vielzahl von Fällen zu den gleichen Rechtsfolgen führen wie bisher.